‚Morgens aufgewacht um frei zu sein‘ (Ton Steine Scherben, Rio Reiser)
Stellt euch möglichst so auf, dass ihr die ersten Bilder für Granada freihaltet. Also, die Kameras so postieren, dass für den Star (Jay) Platz ist, damit er Indira küssen kann. Alles gut, wir passen schön auf. Sind ja Profis und wissen schon wann wir im Bild sind und wann nicht.
Indira hat sich hübsch gemacht. Ihre Kette aus Muscheln, die sie von ihrer Schwester Jenny geschenkt bekommen hat, trägt sie super freizügig. Ein schönes Kind. Überhaupt muss ich sagen, kann ich immer noch meine Wette aufrecht halten: Indira ist nee starke Persönlichkeit. Mathieu hat‘s ja in dem Brief bestätigt. Ein schönes Märchen, was er geschrieben hat.
Doch da kommt der Expresswagen mit Jay und seinem Agenten-Musikvertreter Mark. Mark steigt als erstes aus dem Auto, dann wird Indira nach vorne geschoben. Die Kameras folgen: Jay steigt mit seinem rechten Fuß aus der Limousine, die Blitzlichter feuern los. Die Live-Kameras sind direkt, ganz dicht mit der Zeiss-Optik am Gesicht von Jay. Er ist draußen, richtet sich von der gebückten Aussteigehaltung auf. Sein ganzer Körper ist zu sehen. Er schaut Indira für ganze drei Wimpernschläge an. Indira nimmt ihren linken Arm hoch, zieht sich Jay an ihre Brust. Der Dschungelhut verschiebt sich.
Er vergräbt für schätzungsweise mehrere Sekunden, Minuten, eine ganze gefühlte halbe Stunde, also erbärmlich lange, sein Gesicht in Indiras schöner Schulter. Seine linke und rechte Hand drücken das arme Mädchen vermutlich etwas zu fest. Die Kameras laufen. Sensationell, die Redakteure, Redakteurinnen schmelzen dahin – was für eine Schlagzeile, 8,5, oder 9,0 Millionen! Das wollen alle sehen Eine gefühlte halbe Stunde lang passiert nichts. Es könnte sein, dass Tränen fliesen… vielleicht, sind die geschickt abgedeckt. Dann endlich, sie bewegen sich. Mathieu sitzt mit Abstand im Hotel, beobachtet die Zeremonie aus einer gesunden Distanz. Vorgestern war er es, der dort ausgestiegen ist und die Masse hat ihm zugerufen: „Hey Mathieu, schau mal hier hin… hallo Mathieu oder auch mal hier hin!“ Doch die Karawane zieht weiter, heute ist es Jay und sein erster Schachzug in der Öffentlichkeit ist gelungen.
Jay und Indira bewegen sich vorsichtig umarmend Richtung Hotellobby. Und da passiert das unfassbare, das noch nie da gewesene, meine Kamera geht nicht mehr. Was war geschehen? Ich hatte heute so viel fotografiert und gestern und vorgestern dass ich in der Panik völlig vergessen habe meine kleine Karte in der Kamera zu leeren. SPEICHER VOLL, in dem Moment, der schätzungsweise 10 bis 18 Millionen User-Zuschauer hätte bringen können. Aber die Kollegen haben es ja.
Dramatisch! Es ist wie in einem echten Bollywood-Film. Jay schaut Indira ein letztes Mal in die Augen und bricht in der Hotellobby zusammen, robbt sich gerade noch rechtzeitig, bevor er bewusstlos wird, zum Hotelhocker. Er hält sich fest und schaut in die entsetzten Augen von Indira. Sie kniet sich vor ihn und umarmt ihn. Wie gesagt, ich habe meine Fotokarte in meinen Rechner vergessen und nichts, aber auch gar nichts gesehen. Wichtig zu wissen ist, den sonst hätt ich’s natürlich dokumentiert, aber ich denke es geht auch so. Die Kollegen von DPA, Reuters, RTL, Bild, haben es mir ja wie immer live erzählt… die beiden haben sich im Hotel irgendwo in den 424 Zimmern, unzähligen Appartements oder Suiten zurückgezogen um darüber zu sprechen. Was war das denn, das mit der Ohnmacht…