Lieber Leser,
wenn Du zu den wenigen Deutschen gehörst, die das Dschungelkamp nicht gesehen haben, lies bitte nicht weiter. Wenn Du was gesehen hast, dann mit Sicherheit nicht das, was im Folgenden beschrieben wird. Viel Spaß!
Die algerische Sahara hab ich von Norden nach Süden durchwandert, vor dem höchsten Gericht von New York habe ich die Interessen eines Kindes verteidigt, im deutschen Knast hab ich Agit Pop gemacht. Diese drei meiner Avatare sind ins Dschungelcamp gegangen: Der Ethnologe, der Familienvater, der Spieler.
Was haben wir gequatscht, gelacht, getürkt, gesungen, gebastelt, gelästert, gelitten und geliebt! Schade, dass ihr da draußen in eurer sogenannten zivilisierten Welt mit euren Kriegen und Steinigungen, mit euren Talk Shows und verhungernden Kindern, mit euren Bankern und dem Rest der Bande nur fünf Prozent von dem mitbekommen habt, was tatsächlich passiert ist!
Hier ein winziger Bruchteil meiner Erinnerungen an Szenen und Dialoge im Camp, aus dem Hippokampus gefischt, bevor sie im Lernäersumpf des Stammhirns versinken.
14.01. Liebes Tagebuch,
Vom ersten Tag an high durch die Karenz: Nikotin, Alkohol, Eiweiß, Zucker, Salz, Uhrzeit, Orientierung, deutscher Schnee: nix mehr von alledem, nada, rien. Stattdessen Regenwald, Schlangen, Kampfdiät, Fabeltiere! Der billigste Trip aller Zeiten. Nach drei Stunden gibt der Körper sich selbst die Schüsse in den Arm: Massiver Dopamin-, Endorphin-, Serotonin- und Adrenalinausstoß.
Jetzt versteh ich sie, die Einsiedler, Schamanen, Fakire, Derwische, die Heiligen, die Waldschrate, die Inder, die Indianer. Seit 20.000 Jahren ist das so: Fasten und Höhlenmalerei, Fetische und Kirchenfenster: Die Mischung aus Hunger und Farben ermöglicht Halluzinationen, Entrückung, Exstase. Kein Opiat besser als der Entzug. Stärker als jeder schwarze Afghane.
18.01. Liebes Tagebuch,
Seit drei Tagen laufen die Hochzeitsvorbereitungen auf Hochtouren. Froonck, der Zeremonienmeister, entwirft das Drehbuch: Es wird ein rauschendes Hindu-Muslim Fest. Wir werden alle mit den Fingern essen. Indira ist die Braut, Mathieu und Katy wollen ihre Eltern sein. Jay ist der Bräutigam, Eva seine Mutter, Thomas sein Vater; Gitta seine Tante, mütterlicherseits. Eva wird sich in den Schwiegervater ihres Sohnes verlieben und Katy in den Schwiegervater ihrer Tochter. Gebongt. Peer und Sarah werden für Unterhaltung sorgen. Gitta will einen Bauchtanz machen. Gebongt. Reiner will sich selbst spielen. Gebongt.
Katy sammelt rote, grüne, braune und schwarze Blätter und näht mit Zahnseide und einem spitzen Hühnerknochen daraus den meterlangen und wunderschönen Brautschmuck. Später steckt sie den Hühnerknochen in Indiras Frisur à la Flintstones.
Peer, Schappi und Sarah üben heimlich Rappen, Striptease, Moderieren und Windelwickeln. Dann bastelt Peer ein Damebrett für Jay, 64 Felder, schwarzes Feld links unten, wie beim Schach, und Sarah geht zu den Mädchen, um die Make-Up-Orgie mitzumachen.
Ich baue den Wäschetrockner zum Hochzeitstor um und errichte es am östlichen Campeingang, bastele aus Palmenzweigen, Wachs und Stoffstreifen drei Fackeln und schneide mir beim Damesteine-Schneiden für Peer tief in die Kuppe des linken Mittelfingers. Geistesgegenwärtig wird das Blut sofort in die leere Handfettdose gefüllt und die Mädchen mischen es dankbar mit Sonnencreme zu roter Schminke.
Gitta, Indira, Eva und Sarah üben Kriegsbemalung: sie kratzen den Ruß aus den Petroleumlampen, schmieren sich schwarze Steifen auf Wangen und Stirn, flechten sich Palmenblätter in die Haare, singen wie Penthesileas Amazonen und beraten die Jungfrau Indira wegen der bevorstehenden ersten Liebesnacht.
Froonck wickelt sich aus vier roten Hosenbeinen einen Turban um den Kopf, leiht sich von den Mädchen Ruß und schwärzt sich die Lider, Brauen und Augenbälle. Sandokan, wie er leibt und lebt! Peter Sellers in The Party ist nichts dagegen.
Peer und ich auf der Suche verzweifelten Suche nach Nikotin bzw. THC Ersatz:
Dick und Doof finden eine tote Killerameise:
Kann man die rauchen?
Können wir versuchen. Nimm sie mit.
19.01. Liebes Tagebuch,
Jay kommt einen Tag vor dem Fest, frisch geduscht und gekämmt, wie es sich gehört, zu mir, seinem zukünftigen Schwiegervater, der auf seiner Pritsche liegt und sich die Nägel feilt.
„Lieber Mathieu, ich möchte bei dir um die Hand deiner Tochter anhalten.“
Papi blickt dem Jungen tief ins Herz und fragt:
„Warum willst du die heiraten? Wegen meines Geldes oder wegen ihrer geilen Titten?“
Jay holt tief Luft:
„Ich möchte sie heiraten, weil ich sie liebe.“
„Die schusselige Schlampe? Echt? Also, okay, dann hast du meinen Segen.“
Dick und Doof finden auf dem Klo einen Bandwurm.
„Mann, den kann man sicher auch rauchen!“
„Klar, aber wir dürfen keine Tiere töten!“
Wenig später: Indira kommt zu ihrem Vater, setzt sich neben ihn auf die Pritsche und bettelt:
„Bitte, bitte, Papi, ich brauch Beschäftigung, gib mir ‚ne Morphiumspritze oder lass mich Jay heiraten!“
„Und warum willst du den verknallten Tor?“
„Weil ich dann ‚ne geile Hochzeitsparty kriege!“
„Was das wieder kostet!“
„Is‘ mir egal. Girls just wanna have fun!”
„Is’ ja schon gut! Okay! Und jetzt lass mich in Ruhe.“
Schmatz!
„Du bist der beste Papi der Welt!“
21.01. Liebes Tagebuch,
Die Hochzeit ist leider von der Sintflut den Wildbach runtergespült worden.
Dick und Doof finden am Weiher ein bisschen Krebskot.
„Super, endlich was zu rauchen!“
„Also, da dreh ich mir doch lieber einen aus Eigenurin.“
„Meinen würdest du nicht rauchen?“
„Na ja, in der Not raucht der Teufel Fliegen.“
Wenig später bereiten sich Katy und Thomas auf die Schatzsuche vor:
Katy: „Super, Tommi! Jetzt holen wir uns Zigaretten und Schokolade! The body und the brain!“
Drei Stunden später vor der geöffneten Truhe:
„Danke, Tommi, du hast mir geholfen meine Höhenangst zu überwinden!“
Thomas starrt mit glasigen Augen in die Truhe:
„Nur Salz und Pfeffer? Ich kann es nicht fassen!“
Dann greift der Arme wieder nach dem Brathähnchen, das vor seinem geistigen Auge baumelt.
22.01. Liebes Tagebuch,
Katy liegt zwischen meinen Beinen auf ihrer Pritsche. Ich erzähle von Indien:
„Man steigt 400 rote Steinstufen hoch, tritt in einen Tempel und steht plötzlich vor dem größten Buddha der Welt: 35 Meter hoch, von Kletterpflanzen und Schlangen umschlungen, meditiert er seit 500 Jahren und lächelt. Nackte Jains, die nur Regenwasser trinken dürfen, schütten Milch und Blumen über seine Füße.“
Peer kommt und unterbricht:
„Guckt mal, ich hab ein Herzchenblatt gefunden, hier! Ist das nicht süß?“
Katy: „Peer, wir unterhalten uns gerade.
„Aber ist das nicht süß?“
Katy: „Bitte lass uns weiterreden.“
Peer schmollt und geht.
Am Abend vor dem Lagerfeuer. Thema: An was glaubst du?
Reiner: „Ich glaube an nichts, denn ich bin Gott selbst. Glauben sollen die anderen.“
Peer: „Aber bin ich dann nicht auch Gott?“
Reiner: Na ja, in gewisser Weise schon.“
Jay: „Aber wenn wir alle Gott sind, wer wäscht dann ab?“
Reiner: „Also, ich lecke lieber ab.“
Sarah: „Also, ich glaube an Engel, Wiedergeburt, Gott, meine Oma, an mich, an Vegetieren…äh Vegetariern, und eigentlich an alles.“
Mathieu: „Ich bin kämpferischer Atheist. Das Leben ist eine kurze Illusion zwischen Geburt und Tod.“
Indira: „Gegen was kämpfst du denn?“
Mathieu: „Gegen Glauben.“
Jay: „Aber dann hat das Leben ja keinen Sinn.“
Indira: „Hat es auch nicht.“
Jay: „Also, ich glaube an meine Familie und inzwischen auch an Gott. Wenn das Leben keinen Sinn hat, könnte ich es nicht ertragen.“
Katy: „Öffnet einem aber die Augen für andere Menschen.“
25.01. Liebes Tagebuch,
Vor einer Stunde hat das Team geschlossen Sarah gebeten zur gehen – und Peer am heftigsten. Jetzt nimmt der verstörte Dick vor dem Klo mich, seinen Freund, Doof zur Seite:
„Oh Gott, Mathieu, die Sarah hat mir gerade was erzählt. Das hat für mich alles verändert!“
Ich bin entsetzt:
„Diese gestörte Schnepfe quatscht dich acht Minuten mit irgendwelchem Müll voll und das verändert für dich alles?“
„Ja, nein, ich weiß nicht was ich glauben soll.“
„Betrifft das einen von uns?“
„Ja.“
„Missbrauch vor dem Camp?“
„Nein, nein, aber fast genauso schlimm. Ich bin verzweifelt. Ich sitz zwischen den Stühlen. Was soll ich machen?“
„Du musst das klären, vor dem ganzen Team und zwar sofort!“
„Das kann ich nicht! Ich hab ihr versprochen niemandem was zu sagen!“
„Sie erzählt dir vor acht Millionen Zuschauern ein Geheimnis und die acht Betroffenen dürfen es nicht erfahren? Bist du bescheuert? Merkst du nicht dass sie dich in eine Falle gelockt und zu ihrem Komplizen gemacht hat, um das Team auseinanderzureißen?“
„Aber ich hab ihr mein heiliges Ehrenwort gegeben!“
„Geh sofort runter und erzählt es allen!“
„Okay, okay, werd ich machen. Aber Schotti hat immer noch Halsschmerzen.“
„Mann, oh Mann. Ich hab nicht die Kraft mir weiter um dein Kuscheltier Sorgen zu machen! Rede mit uns, verdammt nochmal!“
„Ja, ja, aber ich will das selbst entscheiden.“
Peer zu Katy: „Das wird morgen in der Bildzeitung ‚ne Schlagzeile und im Hotel gibt ihre Begleitung schon Interviews!“
Katy: „Die hat ein Tabu verletzt. Ein ungeschriebenes Gesetz!“
Peer: „Du hast dich doch bisher um sie gekümmert!“
Katy: „Wer bin ich denn? Privatgouvernante von Fräulein…äh, Dingsbums?“
„Warum ist Mathieu so gemein zu mir?“
„Red mit ihm. Ihr seid doch erwachsene Menschen.“
26.01. Liebes Tagebuch,
Die ganze Nacht kein Auge zugetan. Völlig fertig nach dem Sarahgau und wegen des Verhaltens von Peer. Jetzt ist sie weg. Bin erleichtert. Ist auch für sie das Beste. Ich bringe Katy eine Tasse Orchideenblütentee.
Katy: „Bin heilfroh, dass die lebende Tote endlich nicht mehr hier rumschleicht.“
Ich kann es mir nicht verkneifen Goethe zu paraphrasieren:
„Jetzt naht sie wohl nie wieder, die schlotternde Lemure.“
Peer hat zugehört:
„Ihr seid so gemein. Ein 24-jähriges Mädchen mit einem Rückenschaden nachzuäffen!“
„Dach-, Dachschaden, Peer!“
„Darm-, Darmschaden!“
Peer wenig später: „Du bist so gemein: erst bezeichnest du sie als krank und dann nennst du sie Schnepfe! Mein Vater hat mehr Stil als du! Ich hätte einen Freund gebraucht! Kannst du dir nicht vorstellen, dass ich solche Menschen vielleicht auch in meiner…“
Ich glaub mein Schwein pfeift und fauche:
„Halt den Mund! Bist du wahnsinnig? Ich rede nicht vor offenen Mikros mit dir über Krankheiten in der Familie!“
27.01. Liebes Tagebuch,
Vor Morgengrauen hellwach. Gestern viermal versucht mit Peer zu reden. Er ist jedes Mal weggelaufen. Bin wütend und enttäuscht. Yoga, während der Dschungel wieder zu Schreien, zu Bellen und zu Lachen beginnt. Camp aufräumen. Indira Tee bringen.
„Guten Morgen, Papi, ich langweile mich, bitte spiel‘ mit mir. Gib mir ‚ne Spritze.“
„Also, gut, mein Kind.“
Papi bindet Indira den Oberarm ab und setzt die Spritze. Töchterchen verdreht die Augen und stöhnt selig:
„Mann, krass das Morphium. Danke Papi.“
„Und jetzt gehst du anschaffen.“
„Damit wir wieder Stoff besorgen können?“
„Klar, umsonst ist nur der Tod.“
„Meinst du ich find hier im Lager Kunden?“
„Hey, du wackelst einmal mit dem Hintern und die stehen alle nicht nur Schlange.“
„Geil, Papi. Aber danach spielen wir wieder Scharaden.“
„Versprochen.“
Und eine Stunde später raus.
Im Hotel sehe ich die erste Dschungelshow meines Lebens. Ich beginne zu begreifen:
Nach 14 Tagen haben folgende Avatare das Camp verlassen:
Ein aufs Glatteis geführter Ethnologe ; denn die Xenufos aus Köln hatten mir eine Fantasiesprache als ihre eigene verkauft. Der Familienvater musste zwei von seinen Kindern auf den Topf setzten, nein sagen, um die anderen sechs zu schützen. Das wird einem in unserer vaterlosen Gesellschaft übel genommen. Und der Spieler, hatte zum ersten Mal in seinem Leben gepokert ohne die (neuen) Regeln zu kennen!
Wenn man Rück- und Vorblenden, Zeitlupen und Zeitraffer, Off- und On Kommentare von Camp-Externen, Vor- und Abspann, CGI’s, Wiederholungen –
fünf mal: Dies ist kein Stuhl,
zehn mal: Bitte, bitte, geh,
fünfzehn mal: Ich bin das Ghettoschwein,
zwanzig mal: Bullshit,
fünfundzwanzig mal: Inszenierung,
dreissig mal: Du bist gefährlich –
Musik, Geräusche, Tierszenen , etc., etc. bedenkt, wird einem klar, dass diese Show komplexer ist, als jede Herztransplantation: Weder Scripted reality noch Fiction ohne Drehbuch, sondern vom Anfang bis zum Ende Work in progress. Und diesmal gab es zwei Autorenteams: das hinter der Kamera, und das vor der Kamera. Damit hatte niemand gerechnet. Das wurde zum unschlagbaren Erfolgsrezept! Hollywood ist ein feuchter Furz dagegen.
Berührt haben mich alle Teamkollegen. Enttäuscht haben mich die nassen Plastiksocken, die auch über heißem Feuer nicht trocken wurden. Geliebt habe ich den Dschungel und die Schlangen.
Vier Ziele habe ich erreicht:
1. meine Neugier befriedigt.
2. Das Publikum endlich mal zum Lachen gebracht.
3. Bin mir treu geblieben und habe aus dem Bauch heraus gehandelt.
4. Hab endlich meine Traumrolle gespielt: nämlich keine.
Mathieu Carriere